Historische Zäsur
Historische Zäsur
Am 28. September 2022 fand im Aktionsradius Augarten eine Veranstaltung mit dem Titel „Luftbrücke Wien-Beirut“ statt. Im Mittelpunkt die Bilder des libanesischen Künstlers Selim Mawad, in denen er sich ganz allgemein mit dem Thema Gewalt und im Besonderen mit der im Libanon und seiner Heimatstadt Beirut auseinandersetzt.
Auf eingeblendeten Photos ist die Zerstörung zu sehen, die die Explosion am 4. August 2020 im Beiruter Hafen auslöste: Hunderte Tonnen von Ammoniumnitrat waren jahrelang fahrlässig gelagert worden; bei der Explosion wurden dann ganze Stadtteile Beiruts dem Erdboden gleich gemacht, 214 Menschen starben, 6 500 wurden verletzt und 300 000 obdachlos.
Was für mich neu war: Nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki handelte es sich bei dieser Explosion um die weltweit drittgrößte. Unwillkürlich stelle ich den Zusammenhang zur unmittelbaren Gegenwart her – zu den am 25./26. September gesprengten Gaspipelines von Nordstream 1 und 2.
Und heute in der Früh – also am 29. September – lese ich auf tkp.at den Artikel von Hannes Hofbauer „Immer tiefer in den Krieg – Worauf der Anschlag auf Nord Stream zielt.“ Er verweist darin auf die Ankündigung Bidens bei der Pressekonferenz mit Olaf Scholz in Washington am 7. 2. 22: „Wenn Russland die Ukraine überfällt, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden sie zu einem Ende bringen.“ Und einer nachfragenden Journalistin versichert Biden: „Ich verspreche, wir werden dazu in der Lage sein.“
Zur Wahl des Zeitpunkts der Sprengung schreibt Hofbauer: „Dass es Monate gedauert hat, bis Biden sein Versprechen einlösen konnte, hängt vielleicht nicht nur mit technischen Möglichkeiten zusammen, sondern auch damit, dass sich die Stimmung für eine Öffnung von Nord Stream 2 in Deutschland drehen könnte, wenn es einmal so richtig kalt wird. Dem wurde nun mit den Sprengladungen vorgebeugt.“
Ich glaube auch, dass dieser Anschlag so etwas wie eine historische Zäsur ist. Es ist etwas Anderes, die Ukraine militärisch zu unterstützen oder mit einer derart brachialen Gewalt und so unverhohlen gegen die Interessen der angeblichen Verbündeten vorzugehen, um die eigenen durchzusetzen.
Und es wäre für den Winter tatsächlich eine große Motivation für allfällige Demonstrationen – auch in Österreich - gewesen, die Öffnung von Nordstream 2 zu fordern.
Jetzt ist die Frage, ob sich die Menschen, die sich für das Ende dieses Krieges einsetzen, das auch ohne die Chance auf unmittelbare Befriedigung eigener Interessen tun werden. Und zwar alleine aus der Überzeugung, dass es im Interesse jedes fühlenden Wesens ist, das zu tun.