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Brief an Madeleine Petrovic

von Edith Binderhofer

Liebe Madeleine Petrovic,

ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was es für Menschen wie mich, die gegenüber der Corona-Politik der Regierung kritisch eingestellt sind, bedeutet, dass Sie als erste prominente grüne Politikerin den Mut haben, sich offen und öffentlich gegen diese Politik auszusprechen. Mit zwei Ausnahmen waren die Grünen bei Wahlen mein Leben lang meine Partei.

Den 13. März 2020 empfand ich als wahrhaft schwarzen Freitag: Aus dem Munde des unsäglichen Sebastian Kurz kamen die Worte, dass „niemand zurückgelassen würde, koste es, was es wolle“.

Hätte ein Bruno Kreisky dies gesagt, mit einer Johanna Dohnal an Bord, hätte ich dem Glauben schenken können. Nicht aber einem besonders skrupellosen Vertreter einer skrupellosen neoliberalen Politik. Insofern war ich vom ersten Tag an alarmiert und bin es bis jetzt.

Als ich den FreundInnen, mit denen ich davor an Demonstrationen gegen die türkis-blaue Regierung teilgenommen hatte (als Höhepunkt das stundenlange Verharren am Ballhausplatz am 18. Mai 2019), im Frühling 2020 vorschlug, dass wir wieder auf die Straße gehen müssten, um uns gegen totalitäre Tendenzen zu wehren, stieß ich auf keinerlei Verständnis. Die Regierung mache ihre Sache ausgezeichnet, war der Tenor.

Seither sind fast zwei Jahre vergangen – im alten Freundeskreis herrscht überwiegend nach wie vor die gleiche Meinung. Teilweise ist der Kontakt mit mir früher nahestehenden Menschen abgerissen. Freundschaften, die davor nicht so eng waren, haben sich aufgrund einer gemeinsamen kritischen Sichtweise der sogenannten „Corona Maßnahmen“ vertieft; neue sind entstanden; ich habe neue Bezugsgruppen gefunden – zunächst ICI, später die von Hannes Hofbauer ins Leben gerufene Initiative „kein Zustand“.

Als absoluten bisherigen Tiefpunkt dieses „Unzustands“ erlebte ich die zwei Wochen vor dem 20. November 2021 mit diesem Stakkato an Gewalt – Lockdown für Ungeimpfte; 2G; Lockdown für alle; Impfplicht.

Ihre Grußbotschaft bei der Kundgebung von MFG am 20. November 2021 war dann wie ein Licht in diesem Dunkel, ein Silberstreifen am Horizont.

Für mich ist seither Ihr couragiertes Eintreten dafür, dass wir in der Corona-Frage mit all ihren Facetten endlich eine pluralistische Diskussion auf Augenhöhe führen, wie ein Brückenschlag von meiner alten zu einer neuen Welt, die in den letzten zwei Jahren angefangen hat, sich herauszubilden.

Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar; niemand mit Ihrem Bekanntheitsgrad in der österreichischen Politik (abgesehen von Stimmen aus der FPÖ, was für mich aber kein Trost ist) hat das bisher gewagt. All diejenigen, die sich bis 2020 zu Wort gemeldet haben, wenn es brannte im Lande, schweigen beredt. Vielleicht aus Überzeugung; vielleicht aber auch aus Angst vor der Diffamierung, die ihnen entgegenschlagen würde, wenn sie von der als einzig richtig proklamierten Meinung abweichen.

In der letzten Aussendung des „Aktionsradius Augarten“ fand ich folgendes Zitat von Kurt Tucholsky: „Denn nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: NEIN.“

Genau das machen Sie. Das gibt mir und sicher vielen anderen Zuversicht. Und das möchte ich Ihnen hiermit gerne zum Ausdruck bringen.

Edith Binderhofer,

geboren 1963 in Wien; Studium von Germanistik und Geschichte, tätig u.a. in den Bereichen Kulturvermittlung und als Autorin.

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