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Corona und der neue wahre Glauben

von Joachim Guilliard

In Krisen und Katastrophenzeiten wandten sich Menschen seit jeher verstärkt Religionen zu, suchten im Glauben Trost, Sinn und Hoffnung. Im Zuge der Corona-Krise entstand eine neue große Glaubensgemeinschaft, die sich breit über nahezu alle politische Lager erstreckt. Sie gründet auf der großen Zahl derer, die mit Beginn der Pandemie zu glauben begannen, die bürgerlich-kapitalistische Regierung hätte sich vom Saulus zum Paulus gewandelt: obwohl sie bis dato eine Politik betrieb, die die Armen ärmer und die Reichen reicher machte, orientiere sich ihr ganzes Streben nun nur noch am Schutz der Gesundheit ihres Volkes.

Die Priester der neuen Gemeinde sind die von den herrschenden Kreisen auserwählten Wissenschaftler. Deren Worte sollen als die einzige gültige Wissenschaft gelten, die einzige Wahrheit begründen. Die, die offen daran zweifeln, sind als unsolidarisch, als Ketzer und als eine Gefahr für die Volksgemeinschaft zu brandmarken. Um andere vor Ansteckung mit Zweifeln zu schützen, müssen sie isoliert, ihr Zugang zur Öffentlichkeit beschränkt werden, so lange, bis sie ihrem Irrglauben abschwören.

COVID-19 ist die alles beherrschende Krankheit, man soll keine andere neben ihr beachten oder mit ihr vergleichen. Ihrer Bekämpfung kann alles andere untergeordnet werden, Grundrechte, Bildung, Einkommen, Wohlergehen und vieles mehr. Solide Datenerhebungen über das Infektionsgeschehen und der Auswirkungen der Gegenmaßnahmen sind unterwünscht und gelten als Blasphemie ‒ das Steuern durch dämmrigen Nebel gehört zum Kult.

Zum Glaubensbekenntnis gehört auch das unbedingte Vertrauen in die Impfung. Die Gemeinschaft ist vom festen Glauben beseelt, dass mit Hilfe der Impfstoffe segensreicher westlicher Pharma-Konzerne die epidemische Geisel endgültig besiegt werden könne und auch allein durch sie. Verirrungen durch Impfstoffe düsterer anderer Quellen und Ablenkungen durch Medikamente gegen die Krankheit müssen tunlichst vermieden werden. Auch wenn die neuartigen gentherapeutischen Wirkstoffe nur kurz und noch nicht abschließend getestet wurden, sei die Sorge vor schweren Nebenwirkungen ‒ angesichts der unvergleichlichen Gefährlichkeit des Virus ‒ wider jegliche Vernunft.

Da die Dankbarkeit für die maßgeblich mit öffentlichen Geldern finanzierte Entwicklung der Impfstoffe grenzenlos ist, gönnt man den Pharma-Unternehmen und ihren Aktionären auch ihre saftigen, auf Jahre hinaus gesicherten Gewinne.

Wer dennoch verstockt und verblendet die Impfung scheut, mit Verweis auf die zahlreichen schweren und zum Teil tödlichen Nebenwirkungen penetrant von einer Risikoabwägung redet, ist verblendet und stellt sich auf die Seite des Bösen. Obwohl gut vier Fünftel der Bevölkerung geimpft sind, wird das restliche Fünftel der Zauderer und Verweigerer für die neue herbstliche Infektionswelle verantwortlich gemacht, die ‒ Wortführern der Gläubigen zufolge ‒ alle bisherigen in den Schatten stellen werde. Geimpfte gelten schließlich so gut geschützt, dass sie auch dort unbeschwerten Zugang erhalten, wo er selbst getesteten gesunden Ungeimpften verwehrt wird ‒ wenn sich Geimpfte trotzdem infizieren und andere anstecken, so können daran nur die Impfverweigerer schuld sein.

Hat man in diesen die Sündenböcke für die saisonale Zunahme von Infektionen und Engpässen in den Kliniken gefunden, so muss man sich mit der irdischen Verantwortung der Politik und des profitorientierten Gesundheitssystems für Bettenschwund und Pflegenotstand nicht weiter beschäftigen.

Aus Nächstenliebe sollen die Einheimischen zur dritten Spritze eilen, auch wenn in den Ländern des Südens selbst viele hochbetagte Menschen noch keine Impfung erhalten konnten. Pfiffig ergattern sich dabei hiesige aufgeputschte junge Eiferer ihre erste Auffrischungsimpfung noch vor den 80jährigen.

„Solidarität“ herrscht im Rahmen dieser neuen Religion, wenn die Mehrheit der Geimpften die Minderheit der Ungeimpften aus der Volksgemeinschaft ausschließt, sie mit Berufsverbot straft und aus dem öffentlichen Leben verbannt.

Joachim Guilliard,

Jahrgang 1958. Studium der Physik. Er arbeitet hauptberuflich als IT-Berater und ist in der Friedensbewegung aktiv. Im Promedia Verlag hat er zum Buch „Krise am Golf“, herausgegeben von Fritz Edlinger und Matin Baraki, zwei Beiträge zur US-Nahostpolitik und zum Irak beigetragen.

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