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Fickt euch mit dem Geschwafel über Putin!

von Vedrana Rudan

Sowohl mich als auch euch beunruhigt der Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Beim bloßen Gedanken daran, dass die verdammte Drohne, die in Zagreb einen Krater hinterließ, nur knapp das Dach eines Studentenhauses verfehlte, bleibt mir das Herz stehen. Wer sie zu uns geschickt hat, das wissen wir nicht, genauso wenig, ob wir überhaupt das Ziel waren. Die Tatsache, dass wir das Ziel sein könnten, reicht schon aus, um uns das Blut in den Adern gefrieren zu lassen. Ja, Putin ist uns viel zu nahe.

Putin? Putin. Putin. Putin. Putin. Es gibt wohl kein Medium in Europa und den USA, dass ihn nicht schon tausendmal als „Kriegsverbrecher“ betitelt hat. Über seinen Gegner, den lebende Legende gewordenen Heeresführer, der Größe nach sogar Napoleon, und Churchill, und Cäsar überragenden, zukünftigen Träger des Friedensnobelpreises, wird schon deutlich weniger marktschreierisch berichtet. In Vergessenheit geraten ist sein Erscheinen auf der Bühne der Geschichte als der Pianist, der die Tasten mit seinem Schwanz bespielt. Heute trägt Selenskij seinen Schwanz sicher in olivenfarbenen Hosen verpackt und seinen Oberkörper in schlichte olivenfarbene T-Shirts gehüllt, ein bescheidener Mann, der Che Guevara unserer Zeit. Unermüdlich spricht der weltbekannte Freiheitskämpfer vor den Parlamenten der sogenannten „zivilisierten“ Länder und beklagt sich, dass sie ihm nicht mehr, und noch mehr, und noch viel mehr Waffen liefern.

Journalisten, diese Kriegshunde, verstehe ich jetzt besser, wo Putin mir so bedrohlich nahe ist: Sie knurren in die Richtung, die ihre Herrchen ihnen weisen. Alle wissen sie ganz genau, wie viele Kinderlein, die noch ihr ganzes Leben vor sich hatten, von Putin getötet wurden. Putin, der Hitler, Putin, der Kindermörder. Hallo! In jedem einzelnen, verfickten Krieg sterben Kinder. Nur werden die Zahlen das eine Mal aus dem Ärmel gezogen, das andere Mal totgeschwiegen. Auf meiner Webseite habe ich eine Zahl veröffentlicht, die uns allen bekannt sein dürfte: 500.000 Kinder sind im Irak ums Leben gekommen. Darauf angesprochen, fand die berüchtigte Madeleine Albright klare Worte: Dieser Preis war nicht zu hoch.

Nicht zu hoch – für wen? Für Amerika, of course. Für Bush. Während Amerika und der Westen im Angesicht Gottes den Irak plattmachten, kam keiner der Journalisten auf die Idee, Bush mit Hitler gleichzusetzen. Diese 500.000 Kinder sind gestorben, und nicht nur sie, damit amerikanische Kriminelle sich die Erdölvorkommen einverleiben konnten. Und wenn wir schon dabei sind, darf über den Gazastreifen gesprochen werden? Wie viele Kinder sterben dort, während die Journalisten auf die Hinterbeine springen ob der Kinderleichen in der Ukraine? Natürlich darf man zu diesem Thema nicht aufmucksen. Denn es gibt ja Kriege für die Freiheit, zum Beispiel jene, in denen der Staat Israel, oder der Staat USA, oder die anderen „zivilisierten“, europäischen Staaten Kinder töten.

Ihr habt keine Ahnung, wo der Jemen liegt? Ich auch nicht. Es war Zufall, dass ich auf ein paar Sätze des renommierten Journalisten der Zagreber Zeitung Večernji list, Hassan Haidar Dijab, gestoßen bin. Der da sagt: „Infolge der Angriffe Saudi-Arabiens und der saudischen Verbündeten leben im Jemen derzeit 25 Millionen Menschen in Elend, vier Millionen Kinder leiden Hunger“. Unwichtig. Nicht weiß. Weit weg. Nur Putin, der Hitler, zählt.

Ich liebäugle mit Hitler? Fickt euch. Ich liebe meine Kinder und meine Katze, und ich liebe es ganz und gar nicht, wenn ich von den Medien unverblümt zum Narren gehalten werde. Wenn mir ein Schwanzpianist als Held vorgegaukelt wird. Auch Clinton, der Unmengen abgereichertes Uran über Europa verstreut hat, war mir nie lieb. Ja, ich meine Europa, nicht nur Belgrad. Kam es damals auch nur einem einzigen von den sogenannten „demokratischen“ Journalisten in den Sinn, Clinton mit Hitler zu vergleichen? Fern lag so etwas diesem Abschaum. In den Ärztekreisen der „zivilisierten“ Länder ist abgereichertes Uran mittlerweile zu harmlosem Staub mutiert. Mit Blütenstaub vergleichbar. Dieser Hitler Clinton, der galt damals und gilt bis heute als ein Kämpfer für die Demokratie. Millionen zukünftiger, toter europäischer Kinder werden von seinen großen Taten zeugen.

Und Obama? Wie viele Kinder hat die ekelige, schwarze Spielpuppe an den Strippen des weißen Kapitals getötet? Wer erinnert sich noch an die libyschen Kinder? Ach ja, im Libyenmärchen war Gaddafi doch der Böse. Obama hingegen wird als Friedensstifter in die Geschichte eingehen. Schließlich hat der Mister den Friedensnobelpreis erhalten.

Jeder Krieg bringt nicht nur das Grauen mit sich, sondern auch eine Vielzahl an zauberhaften Geschichten von den guten Menschen, die Geflüchteten ein Zuhause geben. Millionen sind auf der Flucht aus der Ukraine. Alle „zivilisierten“ europäischen Länder empfangen sie mit weit geöffneten Armen, aber nicht Amerika, denn es ist nicht Amerikas Krieg. Dass ich nicht lache! Wie smart, und praktisch, und kosteneffizient. Amerika verkauft ja „nur“ die Waffen und beabsichtigt, Erdgas zu exportieren, keinesfalls jedoch irgendwelche Flüchtlinge zu importieren. Dass alles, sobald dieser Hitler Ruhe gibt.

Wir, die wir unsere Arme für die weißen Ukrainerinnen und Ukrainer weit geöffnet halten, verschließen unsere Ohren, verschließen unsere Augen und zeigen kein Interesse daran zu lesen, was unser Land mit den dunklen Flüchtlingen an unserer Staatsgrenze anstellt. Die Schwarzschöpfe werden geschlagen, Geld und Handys werden ihnen abgenommen. Wie viele Kinder mit schokoladenbrauner Haut sind in Kroatien ums Leben gekommen. Scheißegal. Die können sich brausen. Das sind keine Kinder, das sind Terroristen.

Kroatien, diese „zivilisierte“ Null auf der Weltkarte, hat für die Weißen seine Türen geöffnet. Es werden ihnen bereitwillig Unterkunft, Ausbildung, Arbeit, Strom, Wasser und Nahrung bereitgestellt. Was verfickt noch mal mit mir nicht stimmt? Ob ich etwas dagegen habe? Ich? Als Einzige in Europa? Wie kann ich nur so wahnsinnig sein? Weil ich eben wahnsinnig bin, richte ich eine Frage an unsere Regierenden: Wie kommt es, dass ihr das Leiden der eigenen Bevölkerung seit 30 Jahren nicht sehen könnt? Kroatinnen und Kroaten sind Flüchtlinge, und die Urheber der Misere seid ihr. Kroatinnen und Kroaten sind obdachlos, und die Urheber der Misere seid ihr. Kroatinnen und Kroaten hungern, und die Urheber der Misere seid ihr.

Gestern war ich in einer Bäckerei der Kette Mlinar in Rijeka. Das Brotgeschäft betrat ein Junge, der die Volksschule im naheliegenden Stadtteil Trsat besucht. Ein ordentliches, freundliches, gepflegtes Kind. Er wollte sich „das Billigste, das Sie haben“ kaufen. Auch das war ihm zu teuer. Eine Freundin von mir übernimmt die Kosten für die Schuljause von vier Kindern, die die Schule besuchen, an der sie arbeitet. Weil es ihr das Herz zerreißt. Wir wissen genau, wie viele Kinder in der Ukraine ums Leben gekommen sind. Und wie viele Kinder sterben an Hunger in Kroatien?

Ach, da fällt mir ein, ich habe vergessen, das Wichtigste zu erwähnen, das diesen Krieg zwischen Amerika und Russland von allen anderen Kriegen unterscheidet. Putin hat Atombomben. Wenn mich die Amis angerufen hätten, bevor sie sich drangemacht haben, den olivenfarbenen Che Guevara auszubilden, hätte ich ihnen diese Tatsache offengelegt. Jetzt ist es zu spät.

Fickt euch doch! Putin ist nicht der Held meiner Träume. Ich mag es bloß nicht, wenn mir irgendwelche Scheiße vorgesetzt wird.

Titel des Originals: Jebo vas Putin!

© Vedrana Rudan, https://www.rudan.info

Deutsche Übersetzung: © Grozdana Bulov, Common Language, Wien

Vedrana Rudan,

geboren 1949 in Opatija/Jugoslawien, zählt zu den bekanntesten SchriftstellerInnen Kroatiens.

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