Solidarisch gegen Corona
Wir sollen uns solidarisch verhalten, heißt es von Seiten der Regierenden. Diese Identifikation von Solidarität mit Lockdown und Ausnahmezustand ist von weiten Teilen einer sich fortschrittlich wähnenden Öffentlichkeit so weit übernommen worden, dass sie zum täglichen Mantra gerinnt.
Zur Erinnerung: Wir leben in keiner solidarischen Gesellschaft, sondern in einer der sozialen Ungleichheit (befürwortet von den eben jenen Regierenden), deren Prämissen lauten, dass die gefährlichsten und körperlich anstrengendsten Berufe am schlechtesten bezahlt werden, dass unsere Grundversorgung von möglichst entrechteten migrantischen Arbeitskräften geleistet wird, dass unsere Konsumgüter zum Großteil unter katastrophalen Bedingungen im Süden und Osten hergestellt werden, dass diejenigen am besten gesundheitlich versorgt werden und am längsten leben, die materiell am besten gestellt sind. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Lockdowns sind das Gegenteil von Solidarität. Sie werden von jenen befürwortet, deren berufliche Existenz das Home-Office ermöglicht und ihr Einkommen eine Rundum-Versorgung mit Netflix und Essen vom Zustelldienst. Sie sind bei weitem nicht die Mehrheit der Bevölkerung, aber die einflussreichste Schicht, und in den Medien überrepräsentiert. Ihre Moral ist eine individualistische, die vorgibt „die Großeltern zu schützen“, während sie die gewaltigen Folgen des Lockdowns für alle prekär Beschäftigten, für alle Kinder aus Arbeiterfamilien, für alle Jugendlichen abseits der Universität ignoriert.
Wenn man der (auch medizinisch unsinnigen) Idee anhängt, alles so lange runterzufahren, bis der gefährliche und oftmals tödliche Virus von der Erdoberfläche verschwunden ist, dann nimmt man bewusst eine höhere Sterblichkeit etwa durch Arbeitslosigkeit, Verarmung und Depression in Kauf. Es ist nicht solidarisch zu verlangen, das Gesundheitssystem zu schützen. Es ist einzig solidarisch zu verlangen, dass das Gesundheitssystem uns schützt und jeglicher neoliberale Umbau, der in vielen Ländern zu dramatischen Folgen der Pandemie geführt hat, sofort gestoppt wird.
Viele der Alten und Schutzbedürftigen hat der Lockdown nicht vor dem Tod durch Corona gerettet, auch weil dieses vorgebliche Ziel gar nicht entsprechend verfolgt wurde. Eine tatsächlich solidarische Gemeinschaft vermag diesen Schutz besser zu gewährleisten als der autoritär und erratisch agierende Staat – und muss sich gegen die Einschränkungen des sozialen Lebens zur Wehr setzen.