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Zensur im renommierten Beck-Verlag

von Peter Zakravsky

Wie ich der online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 8. März 2022 entnehme, streicht der renommierte und auch für mich als geschichtsinteressiertem Menschen bis dato eminent wichtige Beck Verlag die zwei aktuellen Russlandbücher der Journalistin Gabriele Krone-Schmalz, veritable Bestseller, aus dem Programm. Wer weiß für wie lange, denn ein Paperback wie „Eiszeit“ ließe sich in hoher Stückzahl innerhalb von Stunden nachdrucken. Dieses Vorgehen ist ungeheuerlich. Und dafür gibt es nur einen einzigen Begriff – Zensur! Denn das Scheinargument: Nicht mehr auf dem neuesten Stand zieht nicht. Das Gegenteil ist richtig. Es gibt keinen aktuelleren Stand der Vorgeschichte des Ukraine-Krieges, als den, der in ihren Russlandbüchern nachzulesen ist. Krieg ist Krieg. Was soll man von Deutschland aus noch Aktuelleres schreiben, als was ohnedies pausenlos durch die Medien geistert? Weder hat Krone-Schmalz in ihren Büchern an irgendeiner Stelle je behauptet, nur der Einmarsch der Russen könne die Ukraine-Krise beenden, noch steckt sie im Arsche von Putin, um Goethe zu zitieren, sondern sie hat akribisch recherchiert und dargelegt, wie es zu dieser unheilvollen Entwicklung hat kommen können.

Ich habe einst Publizistik studiert, um zu lernen, wie guter Journalismus gehen könnte, und Politikwissenschaft, um die Interessen der Nationen, der Militärbündnisse, die geostrategischen Interessen großer und kleiner Länder erkennen und kritisch benennen zu können. Wenn ich im Blindflug durch die Geschichte segle, dann darf ich mich nicht wundern, wenn ich in meiner selbstverschuldeten Orientierungslosigkeit irgendwann an ein Hindernis pralle und untergehe. Krone-Schmalz hingegen bietet mir als eine der wenigen aus der Masse der Gleichgeschalteten herausragende Medienarbeiterin lebensnotwendige Hintergrundinformationen. Und warnt vor Hybris. Sie nimmt ihr journalistisches Handwerk ernst, hat versucht, Aufklärung zu betreiben. Ihre Bücher sind daher wichtig, für mich, für alle, die auf sachliche Berichterstattung angewiesen sind und diese nirgends mehr beziehen können, außer aus solchen Büchern und aus dem Internet, einem Medium, dem die zweifellos wichtige und richtige Gatekeeper-Funktion fehlt, sodass man ein gewisses Vorwissen benötigt, um sicher zu landen. Schwer zu entscheiden, was Ramsch, was seriöse Informationsquelle ist. Darüber hinaus Tummelplatz für in jeder Hinsicht Entgrenzte. Dazu zählen in der Regel auch die vielen, die im Lager der NATO, also im Lager von Waffenproduzenten, Waffenhändlern, Militaristen aller Art stehen, die wieder vom „totalen Krieg“ schwadronieren und im Fall vom Irak-Iran-Krieg, von Afghanistan, von Jugoslawien, vom Irak, von Syrien, von Libyen, vom Jemen, von Somalia im Hintergrund die Fäden gezogen haben, und das uneingeschränkt weiterhin tun. Für sie mögen die Texte von Krone-Schmalz unangenehm sein, sie mögen die rundum unbescholtene Frau mit Shitstorms überziehen, aber dass ein so bedeutsamer, auf Geschichte und Politik spezialisierter Verlag wie Beck in dieses kriegslüsterne Lager wechselt, ist allemal ein Skandal.

Also: Was läuft da im Beck-Haus? Hat die Autorin selbst gebeten, ihre aktuellen Russlandbücher aus dem Programm zu nehmen? Leider hat sie einen Fehler gemacht und unmittelbar nach dem Einmarsch in die Ukraine ein Statement abgegeben. In ihrer Erschütterung glaubte sie, sagen zu müssen: „Ich habe mich geirrt.“ und genau diese Aussage ist ihre einzige, die falsch ist. Krone-Schmalz ist nämlich weder Wahrsagerin noch Parteigängerin Putins, aber sie hat damit dem Verlag einen Vorwand für sein durch nichts zu rechtfertigendes Vorgehen geliefert. Es ist ausgesprochenes NATO-Tathandeln mit dem Effekt, mir wichtiges Informationsmaterial zu entziehen und mich in der Medienwüste meines Landes, Österreich, verhungern und verdursten zu lassen. Der Verleger, Jonathan Beck, hat es verfügt. Punktum.

Ein Blick in die Nürnberger Nachrichten vom 4. März, in der ein längeres Interview mit Krone-Schmalz zu finden ist, könnte in der Angelegenheit weiterhelfen. Jetzt ist jedes Wort wichtig und genau abzuwägen, was Krone-Schmalz nunmehr sagt. Sie verwehrt sich dagegen als Putin-Versteherin abgekanzelt zu werden, und sie reagiert auf die vielen Suggestivfragen des Interviewers in ihrer Verzweiflung sachlich, rechtfertigt mit keinem Wort den Angriffskrieg der derzeitigen Staatsführung Russlands, ist tiefbestürzt über Putins Schritt, die Ukraine militärisch zu überfallen: „Ich bin verzweifelt, wütend, hilflos – habe alle grauenvollen Zustände, die man haben kann, wenn man einen Krieg von außen beobachtet und nicht in der Lage ist ihn zu stoppen.“ Sie hat Putin von der Ferne aus falsch eingeschätzt, das ist aber kein Irrtum. Der Mann liegt nicht bei ihr auf der Couch. Sie hat ihre journalistische Pflicht erfüllt und rechercheintensiv, mit viel Hirn und ganz wenig Bauch, die wenig friedlichen Ereignisse beschrieben, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an den neuen Grenzen zu Russland abgespielt haben und die allesamt diplomatisch ungebremst auf die jetzige Eskalation zusteuerten. Das ergibt weder eine falsche Einschätzung, noch einen Irrtum. Sei berichtete von Fakten. Endpunkt Krieg in der Ukraine. Wirtschaftskrieg West gegen Ost. Davor hat Krone-Schmalz in erster Linie die westliche Diplomatie mit den Möglichkeiten, die ihr als Journalistin zur Verfügung stehen, warnen wollen, ohne dabei die russische Position von Kritik auszunehmen. Es ist im besten Sinn aufklärerisches Handeln, mutiges Handeln, angesichts der miserablen Debatten-Kultur in den westlichen Demokratien. Wir alle haben diesen Krieg mitgeschaffen, indem wir rein gar nichts dagegen unternommen haben, dass bestimmte Kräfte der NATO den militärischen Kordon um Russland enger und enger gezogen haben. Das ist mir schon im Zuge des Jugoslawienkriegs aufgefallen. Friedensbewegung ade!

Was immer jetzt im Endeffekt beim Beck Verlag mit den Büchern von Krone-Schmalz passiert, allein dass eine solche Zensurmaßnahme, wer weiß für wie lange, exekutiert wurde, ist in der jüngeren Verlagsgeschichte Deutschlands ohne Beispiel und ist ein weiteres Alarmzeichen im politisch-intellektuellen deutschen Gruselkabinett.

Peter Zakravsky,

Jahrgang 1952, Autor, Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Privatgelehrter.

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