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Dumm? Ahnungslos? Kriegslüstern?

Österreichs Außenpolitik in der historischen Sackgasse von Peter Zakravsky

Als Wadelbeissernation scheint Österreich in heiklen weltpolitischen Situationen von einem merkwürdig fehlgeleiteten Antrieb gesteuert, im falschen Moment mit dem Säbel zu rasseln, und so stets auf erschreckend-notorische Weise auf der falschen Seite der Geschichte zu landen. August 1914, Attentat auf den Thronfolger, gewiss ein scheußliches Verbrechen. Reaktion: Kriegerklärung an Serbien, Weltkrieg. Endergebnis: Untergang der Habsburgermonarchie. Herbst 1938, nach der Besetzung „Deutsch-Österreichs“, des ehemaligen „Cisleithaniens“ durch Hitler-Deutschland im März dieses Jahres, Entfesselung der bis dahin schärfsten antisemitischen Ausschreitungen, Inbrandsetzung der Synagogen, Demütigung der jüdischen Menschen auf Wiens Straßen, Volksfeststimmung, um den neuen Herren, die bis dahin in Deutschland selbst sich nicht getrauten, zu solchen Gewaltexzessen zu greifen, gewissermaßen als „Vorzugsschüler“ gegenüberzutreten. Die Wiener Pogrome des Jahres 1938 bildeten das Startsignal für den Holocaust.

Und jetzt wieder ein fataler Schritt: am 27. Oktober 2023 hat der österreichische Delegierte bei der UNO,  Alexander Marschik, auf Anweisung des Außenministeriums die Chuzpe, gegen die Resolution zu stimmen, mit der ein „Waffenstillstand“ erreicht werden sollte, um den notleidenden Menschen im Gaza-Streifen die an der Grenze zu Ägypten festsitzenden Hilfslieferungen zukommen zu lassen. Ich sage es klipp und klar, damit landet Österreich ein weiteres Mal auf der falschen Seite der Geschichte. Ich muss daher als demokratisch gesinnter Mensch das Wagnis auf mich nehmen und auf das Schärfste gegen dieses Abstimmungsverhalten des österreichischen Delegierten bei der UNO mit Worten, mit Argumenten, bestehend auf einer kritischen Debattenkultur, zu Felde ziehen.

Das Herunterreißen eines Staatssymbols wie einer Israel-Fahne ist kein Antisemitismus. Die Entstehungsgeschichte Israels und seinen weiteren Verlauf zu kennen, ist kein Antisemitismus. Kritik am Staat Israel ist kein Antisemitismus. Juden, wohlgemerkt ein kleiner Teil der auf die ganze Welt verstreuten Juden, hat sich auf dem Gebiet des ehemaligen britischen „Völkerbundmandats“ in Palästina, angetrieben von Theodor Herzls Ideologie des „Zionismus“ allmählich zu einer Nation vereinigt und unter dem Schutz zuerst von Großbritannien und dann von den USA sich als Staat konstituiert. Der Staat Israel ist eine verspätete Manifestation des im Zuge von zwei Weltkriegen gänzlich diskreditierten Nationalismus, sozusagen von Anfang an eine durch den Holocaust verursachte „Notlösung“ gewesen. Staat heißt Bewaffnung. Die Geschichte Israels ist eine Geschichte bewaffneter Konflikte, weil die Gründung und der Aufbau des Staates Israel auf Kosten der dort lebenden nichtjüdischen Bevölkerung von statten ging.

Für dieses Gemisch an Menschen verschiedener Religionen, verschiedener Lebensweisen, gab es lange Zeit keinen einheitlichen Terminus. Erst der allmählich sich als Apartheitsstaat herauskristallisierende Staat Israel, dessen zionistische Politik immer mehr Juden ins Land lockte, ihnen sofort die Staatsbürgerschaft verlieh, das Territorium des Staates Israel unablässig durch Vertreibung und Enteignung der angestammten arabischen Dorfgemeinschaften vergrößerte und diese Entwurzelten in ghettoartigen Reservaten zusammenpferchte, erzwang eine Bezeichnung für die staatenlos, das heißt ohne Recht auf Bewaffnung, dahinvegetierenden, dem Goodwill der israelischen Behörden ausgelieferten Volksgruppen, allesamt darüber hinaus Spielbälle in den Händen der sich in Konflikten mit Israel befindlichen umliegenden – arabischen –, selbst wieder hinsichtlich ihrer Religionszugehörigkeit, geopolitischen Interessenlage etc. höchst unterschiedlichen Staaten.

Die Geburtsstunde für die Bezeichnung „Palästinenser“ bildete die Rede von Jasar Arafat vor der UNO im November 1974. Damals hob er die Charta der „Palästinensischen Befreiungsorganisation“ (PLO) aus dem Jahre 1968 mit viel rhetorischem Geschick auf diese bedeutsame Bühne der Weltpolitik. In den Paragraphen 59-60 führte er aus: „Als unser Volk den Glauben in die internationale Gemeinschaft verlor, die weiterhin seine rechtlichen Ansprüche ignorierte und als es nur zu deutlich wurde, dass die Palästinenser mit ausschließlich politischen Mitteln nicht einen Zentimeter von Palästina zurückbekommen würden, hatte es keine andere Wahl, als den bewaffneten Kampf aufzunehmen. … In den letzten zehn Jahren dieses Kampfes wurden tausende als Märtyrer und doppelt so viele als verwundet, verstümmelt und hinter Gitter gebracht geopfert, all das in dem Bestreben, der immanenten Gefahr der Liquidierung zu widerstehen und unser Recht auf Selbstbestimmung und unser unverhandelbares Recht auf Rückkehr ins Heimatland zurückzugewinnen. Es geschah durch den bewaffneten Volkskampf, dass sich unsere politische Führerschaft und unsere nationalen Institutionen schließlich herauskristallisierten und eine nationale Befreiungsbewegung, alle zersplitterten palästinensischen Fraktionen, Organisationen und Potentiale vereinigend, in der PLO sich materialisierte. … Die PLO war ein bedeutender Faktor für die Erschaffung eines neuen Typs „Palästinenser“, geeignet die Zukunft unseres Palästinas zu gestalten.”[1] (Übersetzung P.Z.)

Arafat ließ keinen Zweifel daran, dass es der Kampf ist, der aus den einstigen, ethnisch völlig unterschiedlichen Bewohnern des Völkerbundmandats der Briten „die“ Palästinenser formte. Die UNO billigte im Anschluss an Arafats Rede die Resolutionen 3236 „Question of Palestine“ und 3237 „Observer Status of the Palestine Liberation Organization“. Israel und die USA hatten auf diplomatischer Ebene eine herbe Niederlage erlitten. Die Existenz des zionistischen Staates Israel schien gefährdet. Teile und herrsche umso brutaler weiter, war daher das nur mit Rückdeckung der USA zu bewerkstelligende Credo der folgenden Phase israelischen Hegemonialstrebens in der Region, das auf wundersame Weise mit dem immer deutlicher vorangetriebenen US-amerikanischen Hegemonialstreben über die gesamte Welt harmonierte.

Es ist heutzutage kein Mirakel mehr, in 30 Minuten übers Netz so viel Material in einen Ordner einzufügen, dass kein Aspekt des „Nahost-Konflikts“ im Dunklen bleibt. Aber bei der Abstimmung über einen Waffenstillstand auf der Vollversammlung der UNO vom 27. Oktober 2023 ging es um all das nicht. Es ging um die Freigabe humanitärer Hilfe für über zwei Millionen hilfloser Menschen im Gazastreifen, die nicht durchgeführt werden kann, solange Israel gezielt den dichtest besiedelten Streifen bombardiert und die Hamas wild durcheinander Raketen auf Israel abfeuert. Daher die Forderung nach Waffenstillstand. Dass die USA und Israel dagegen stimmten, mag nachvollziehbar scheinen, hat sich doch Israel entschlossen auf die Terrorattacke der Hamas vom 7. Oktober mit biblischer, militärisch vorgetragener Rache zu reagieren und von den USA seit jeher für all seine Aktionen, mögen sie noch so blutig sein, einen Blankoscheck ausgestellt bekommen. Aber Österreich?! Was ist mit unserem Auftreten auf internationaler Bühne geschehen? Als Bürger dieses Landes möchte ich klarstellen, dass ich mich mit diesem kriegslüsternen und menschenverachtenden Abstimmungsverhalten des österreichischen UNO-Delegierten in keiner Weise einverstanden erklären kann. Österreich mag ein kleines, und verglichen mit den Zeiten Bruno Kreiskys, außenpolitisch völlig bedeutungsloses Land sein, aber dieses Verhalten fällt draußen in der Welt negativ auf. Die Zahl der dicken Freunde der USA wird immer kleiner. Mit diesem Abstimmungsverhalten saugen wir die Feinde der Amerikaner förmlich an. Was das bedeutet, muss auch dem Dümmsten klar sein, nämlich Zielscheibe für Terrorattacken zu werden. Wegen nichts und wieder nichts! Aus schierer Dummheit und Ahnungslosigkeit! Die Schweiz hat übrigens für die Resolution gestimmt.[2]


[1] Quelle: file:///C:/Users/USER/Desktop/Israel/UNO%20GENERALVERSAMMLUNG%2013.%

20Nov%201974/ARAFAT%20REDE%201974%20uno%20VOLLVERSAMMLUNG%20%2013.%20nov.%201974.pdf

[2] Eine genaue Analyse des Abstimmungsverhaltens bei dieser UNO-Sitzung bietet der Blogger Ben Norton. Quelle: https://www.youtube.com/watch?v=Vph4YDi17Ps

Peter Zakravsky,

Jahrgang 1952, Autor, Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, Privatgelehrter.

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