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Zukunftsverlierer

von Martin Sprenger

Die Schließung weiter Bereiche unserer Gesellschaft, der sogenannte „Lockdown“, bleibt anscheinend unsere einzige Strategie um unklare Ziele zu erreichen. Ob es das Infektionsgeschehen alleine ist, das unser Gesundheitssystem – eigentlich nur die Intensivversorgung – temporär gefordert hat, würde ich stark bezweifeln. Die Gründe sind multifaktoriell. Viele haben mehr mit jahrzehntelangen Versäumnissen im Pflegebereich zu tun, andere mit der Unfähigkeit schützende Rahmenbedingungen für Risikogruppen zu schaffen. 

Auch nach Monaten haben wir noch immer ein intransparentes Erkrankung- und Sterbegeschehen, unklare Definitionen und Parameter und eine schädliche Message Control. Jetzt setzen wir auf Schnelltests bei asymptomatischen Personen, wiederum ohne kritische Auseinandersetzung darüber, welche Limitierungen diese Teststrategie hat. Vielleicht werden wir diese Zeit einmal rückblickend sachlich und unaufgeregt analysieren. Aktuell ist so viel aus dem Ruder gelaufen, die Debatte so politisiert und bewusst emotionalisiert, dass das nicht möglich ist.

Leid tun mir dabei die vielen Kinder und Jugendlichen, v.a. jene, deren Gesundheits- und Lebenschancen damit noch mehr geschwächt werden. Sie sind die Zukunftsverlierer und damit die Zielgruppe für das „victim blaming“ einer Politik von morgen. Denn eine moderne Politik scheint immer Schuldige zu brauchen, um von den eigenen Fehlern abzulenken. Wo sind die Politikerinnen und Politiker die fähig sind, Unsicherheiten zuzugeben, aus Fehlern zu lernen, die existentielle Bedrohung vieler Menschen wahrzunehmen?

Martin Sprenger,

geboren 1963 in Chur/Graubünden, ist Gesundheitswissenschaftler an der Medizinischen Universität Graz und ehemaliges Mitglied der der „Coronavirus-Taskforce“ des österreichischen Gesundheitsministeriums. Von ihm erschien 2020 das Buch „Das Corona-Rätsel. Tagebuch einer Pandemie“.

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