Kultur ist existenzrelevant
Das Ungleichgewicht zwischen den „Maßnahmen“ zur Pandemieeindämmung, die den privaten Bereich betreffen, und jenen in der Arbeits- und Geschäftswelt, ist geradezu grotesk. Einkaufszentren werden geöffnet, Kulturhäuser bleiben geschlossen. Erlaubt ist, in überfüllten Verkehrsmitteln zur Arbeit zu fahren und dort täglich acht Stunden mit KollegInnen zu verbringen, nicht erlaubt ist jedoch, im Theater, Kino oder Konzertsaal zu sitzen.
Je länger die Pandemie anhält, desto stärkere Beachtung sollte der Hinweis finden, dass das Leben nicht nur aus Lohnarbeit, Konsum und Beten besteht. Obwohl die Theater im September und Oktober 2020 zum Vorbild wurden, wie in der Pandemie ein wesentlicher Teil des Alltags sicher organisiert werden kann, bleibt der Kulturbetrieb auf absehbare Zeit lahmgelegt. Im Gegensatz zu Baumärkten und Beauty Salons gilt Kultur nicht als systemrelevant.
Kultureller Kahlschlag wird sich kaum als wirksame Maßnahme gegen die Pandemiemüdigkeit herausstellen. Die Erkenntnis, dass Kunst einen wichtigen Beitrag leisten kann, die Krise sinnvoll zu gestalten, ist bei den politisch Verantwortlichen jedoch noch nicht angekommen. Die gesellschaftliche Relevanz von Kunst und Kultur ist den Regierungsmitgliedern allenfalls ein Lippenbekenntnis wert. Für den Kanzler ist Kultur eine im Grunde überflüssige Erbauung, auf die man eben auch mal einige Monate verzichten könne.
Langfristig betrachtet wird es auch darum gehen, der zunehmenden Vereinsamung der Menschen und deren psychischen Belastungen etwas entgegenzusetzen. Es ist auch die Aufgabe der Kultur, den Zumutungen eines permanenten Ausnahmezustands entgegenzuwirken. KünstlerInnen und Kulturschaffende müssen sich organisieren und zusammenarbeiten, über Spartengrenzen hinweg, um ihren Protest gegen ungerechtfertigte Maßnahmen hörbar zu machen. Es muss verhindert werden, dass eine Gesellschaft ohne Theater, Konzerte und Kinos vom Ausnahme- immer mehr zum Normalzustand wird. Kultur ist nicht nur systemrelevant, sie ist existenzrelevant.