email whatsapptwitter facebook

Warum ...

von Jesper Larsson Träff

Auf der Straße, im Beisl, beim Einkaufen, am Bahnsteig, im Hörsaal, im Büro, am Markt, bei der Besprechung, zu Hause (wer weiß?) trägt kaum mehr jemand den Lappen vor Mund und Nase. Es lässt sich wohl hieraus schließen, dass viele diese absurde und verzerrende Vorrichtung für nichts-bringend erachten, oder sogar schädlich, was sie als Alltagsgegenstand zweifelsohne auch ist, physisch, psychisch und sozial, und deswegen getrost darauf verzichten: Gesicht zeigen und frei atmen. Warum nur wird dann aber sofort von fast allen in Wien beim Betreten der Apotheke, oder der U-Bahn oder des Busses, beim Arzt und im Spital die Maskierung wieder angelegt? Beobachtet bedecken sich in Wien zu Stoßzeiten geschätzt 70-90% der Passagiere im öffentlichen Verkehr, als wäre dies das normalste der Welt. Ist man der Ansicht, die Virusdichte in diesen öffentlichen Räumen sei so hoch, dass die wirkungslose Maske hier ihre magische Wirkung entfalten kann? Will man nur nicht auffallen? Liegt es an der viel beschworenen Solidarität? Ist es die Angst vor irgendeiner Strafe, die angemerkt seit längerem kaum verhängt wird? Oder ist es der Gehorsam? Ist es die reine Pflicht an sich, sich an die jederzeit geltende Verordnung zu halten? Ist es die Unfähigkeit, eine eigene, rationale Entscheidung zu treffen und zu vertreten?

Die abstrakte Frage lautet: Wann ist es in einem Rechtsstaat legitim, sich zu verweigern, eine Verordnung oder ein Gesetz zu befolgen, und unter welchen Umständen ziviler Ungehorsamkeit gestattet und geboten sein kann? Aber auch, welche Verordnungen und Gesetze darf der Rechtsstaat überhaupt verabschieden? Dürfen beschlossene Gesetze physikalischen Naturgesetzen, bewährten, beispielsweise medizinischen Erfahrungen, oder der bloßen (auch ökonomischen) Vernunft widersprechen? Darf offensichtlicher Unsinn, Wirkungs- und Sinnlosigkeit zum Gesetz erhoben und fortgeschrieben werden? Ist der Bürger verpflichtet solches anzuerkennen, gut zu heißen und zu befolgen? Was, wenn der Staat selber zum Befehlsempfänger verkommen ist, und im Auftrag von anderen, nicht demokratisch legitimierten Institutionen und Organisationen agiert, statt im Auftrag der eigenen Bürger? Wie viel soll der Staat vorsorgen und wie viel darf er bevormunden? Der Anlass, solche alten philosophischen Fragen zu stellen, ist noch stärker gegeben. Die vom Staat aktuell, seit 3 Jahren, durch Handlungen, Gesetzesnovellen, und ewigen "Maßnahmen", angebotenen Antworten sind, insofern man sich überhauptdie Problematik bewusst ist, vollkommen unzureichend.

Ein altes Merkmal des idealen Rechtstaates besteht darin, dass es den Bürgern möglich ist, sich jederzeit beim Gesetzgeber Gehör zu verschaffen, die Gesetzgebung zu beeinflussen, auf Fehler hinzuweisen und eine Korrektur herbeizuführen. In einer idealen Demokratie ist es ebenso möglich, jederzeit die Regierung und deren Repräsentanten abzusetzen, durch Wahlen, durch Argumente, durch Opposition, durch Proteste, wenn das wegen Inkompetenz, Unwissenheit, Kurzsichtigkeit, Dummheit, Planlosigkeit, Arroganz, Fehlverhalten, Korruption, Rechtsbruch, Untätigkeit oder schiere Abwesenheit geboten ist.

In den modern verwalteten westeuropäischen Demokratien sind diese Rechte zwar formal noch gegeben, aber Regierungen und Institutionen ignorieren gekonnt und getrost berechtigte Anliegen. Sie beeinflussen durch Propaganda und mediale Gleichschaltung, durch Umfragen und „Influencing“ und durch mehr oder weniger offensichtlicher Zensur, neuerlich massiv digital unterstützt, und scheinen, man wagt es kaum auszusprechen, fast bereit, demokratische Grundrechte einzuschränken, wenn die Rufe doch zu laut oder zu „gefährlich“ werden. Unter solchen bedauerlichen Zuständen bleibt der mündige Mensch am Ende seine eigenen Entscheidungen überlassen.

Jesper Larsson Träff,

geboren 1961 in Kopenhagen, ist Professor für Informatik (paralleles Rechnen) in Wien. Die hier geäusserte Meinungen und Analysen sind persönliche Ansichten und stehen in keinem Zusammenhang mit der TU Wien.

© 2021 Verein für kulturelle Information

Impressum