email whatsapptwitter facebook

Etikettenschwindel

von Jesper Larsson Träff

Herr Peymann kauft sich eine Hose, geht nicht spazieren, aber kommt damit zurück nach Hause, nur um zu entdecken, dass die Hose schlecht ist, und dass das Etikett, das die besondere Marke signalisieren sollte, auch nicht stimmig ist. Übrigens lief der Verkauf komisch, und der günstige Preis war auch verdächtig. Dies ist der klassische Etikettenschwindel, es tut uns ein bisschen Leid für Herrn Peymann, der nun nicht mehr in Wien ist, und sich beim Kauf möglicherweise von eigener Gier, Eitelkeit und Interesse hat leiten lassen und unbedingt die besondere Markenhose billig erwerben wollte. Beim klassischen Etikettenschwindel wird niemand wirklich betrogen, weil es klar ist, was gehandelt wird, und jeder Part nur versucht, günstig auf seine Kosten zu kommen. Damit kann man umgehen. Das Schmiermittel ist die Marke, das Etikett, und den Handel geht es eher darum, wie viel man gewillt ist, für wie viel Ähnlichkeit und mit welchem Qualitätsabstrich, zu bezahlen. Der Tausch setzt implizit voraus, dass es einen Namen gibt, der für eine bestimmte Qualität birgt, insofern diese nicht von selber ersichtlich ist. Daher ist die ehrliche Form des Schwindels, wo manchmal sogar sehr gute Ware mit einem nur ähnlichen Markenzeichen günstig erworben werden kann, fast gar keiner und nicht selten erstaunlich und rührend kreativ, „Imitation is the sincerest form of flattery“ oder so ähnlich. Manche hoch angesehene Marken können evolutionär so entstanden sein.

Die (post)modernere, interessantere, merkwürdigere Form des Etikettenschwindels ist eine andere. Hier wird eine echte Marke verkauft, „the authentic something…“, in Flagship-stores zu nicht verhandelbarem Höchstpreis, und das Etikett auf einem denkbar schlechten Produkt angeklebt. Nichts ist wie es vorgegaukelt wird, und erstaunlicherweise wissen alle, wir sind ja nicht naiv, dass es so ist. Der Kauf ist ein rein symbolischer Akt, was ver- und gekauft wird, ist nicht eine Hose, sondern ein Nimbus, ein Emblem, eine Aura, eine Erinnerung, ein Status, eine Zugehörigkeit, eine Sehnsucht, eine Sicherheit, eine Bestätigung, kurz ein Fetisch.  All diese Etiketten und „Marken“ werden zu astronomische Preisen gehandelt, und dies gilt auch an der Börse und für die Firmenkonstrukte, die die formalen Rechte zu diesen Marken besitzen. Wer die Marke hat, hat die (Definitions)Macht.

Im Land Kakanien gibt es noch „Der Maßstab“, eine Tageszeitung lanciert als ein liberales, intellektuell anspruchsvolles Organ, und lange in dieser Rolle in der Eigenwahrnehmung allgemein unhinterfragt. Man könnte den Etikettenschwindel funktionell untersuchen zB. anhand der der Haltung gewidmeten Berichterstattung und den ewigen „op-eds“ in den letzten zwei Jahren über das Aufkommen und die sichere und wirksame Behandlung eines angeblich lebensbedrohlichen Virus, an den Analysen von den Menschen und Wissenschaftlern, die dem Staatsnarrativ nicht zustimmen, die Begrifflichkeiten die hier verwendet worden sind, oder ältere Debatten zu der Insel-Affäre einer alt eingefleischten Partei des Landes, zur Wahl des Oberhauptes des Staates, zu der EU-Kommissionpräsidentschaftswahl, und zu was aktuell gerade berichtet und allen Ernstes vorgeschlagen wird zur Bewältigung einer militärischen Auseinandersetzung auf Europäischen Boden und die Rolle eines neutralen Landes: Atemberaubend, sogar ohne Maske. Historisch spannend wäre auch den Schwindel materiell aufzuarbeiten: Wer gründete „Der Maßstab“, wer zahlt, wer steht, sichtbar und unsichtbar, für welche Funktionen und Agenden? Bezahlt wird auf jedem Fall nicht an der Kasse, sondern durch üppige Werbeeinnahmen und Staatsinserate für diverse aufklärerische und informative Behandlungskampagnen.

Im selben Land gibt es auch noch eine Partei, „die Neue“, die eine (neo)liberale, weltoffene, englisch-beherrschende, EU-positive Wählerschaft bedienen, lenken und entschärfen sollte. Auch hier lohnt sich sowohl die funktionale wie auch materielle Analyse, wobei hier einige wesentliche industrielle Akteure allgemein bekannt sein dürften. Interessant war übrigens das Schicksal des Gegenpols, eine ebenso zweckgebundene Partei, die den Marken-Namen seines Gründers trug, was nicht passte, und mit Hilfe des genannten „Der Maßstab“ recht schnell entsorgt wurde. Um welcher Art von Schwindel es sich bei den europäischen Parteien mit einer fröhlich-naturverbundenen Farbe handelt, ist weniger offensichtlich, weil sie lange zu Parteienlandschaft gehören, aber Frieden, Bürgerrechte und Umwelt sagen nur die Etiketten. Auffallend ist, dass all diese Parteien zusammen mit den traditionell rot kolorierten, sozial und demokratisch etikettierten unter lauthalsen Demokratiebeschwörungen, die sind, die am meisten in autoritäre Allmachtfantasien schwelgen, und den Ausnahmezustand mitsamt Zwangsbehandlungsangebote am liebsten permanent machen möchten. Dass die Politik machtlos oder un(mis)brauchbar ist, ist schmerzlich widerlegt.

An den technischen Universitäten des Landes wird Wissen geschaffen, so wie es auf dem Etikett steht. Man forscht in wichtigen Themen wie Smart Cities, digitale Zwillinge, Industrie 4.0, 5G, Datenwissenschaft, künstliche Intelligenz, man simuliert den Klimawandel oder die Ausbreitung gefährlicher Seuchen, dessen Wiederkehr so sicher wie das Amen im Hörsaal scheint, das meiste als Universalwissenschaft der Digitalisierung und humanistischer Digitalismus deklariert. Selbstverständlich ist diese Forschung von uneigennützigen dritten, staatlich oder privat, finanziert, und all diese Projekte sind erstaunlicherweise schon von vorne herein erfolgreich und bahnbrechend: die Kontinuität in die sonst marode Forschung muss ja durch das nächste Projekt garantiert werden. Oder ist es anders? Ist die Marke „Wissenschaft“ einfach noch wichtig und wertvoll genug, dass es sich lohnt, die universitäre Forschung weiterhin als Absolution und Beschwörung und als Mittel zum lizenzierten Abzapfen seitens Großkonglomerate aufrecht zu erhalten, als Zusatz zu den sonstigen Rollen der Universitäten in den modernen Gesellschaften, z.B. das Erreichen einer hohen Akademisierung? Sind die Universitäten eher der respektable Kitt zwischen Gesellschaft und Agenten und Agenden, die unsere Forschung fördern und fordern, und eine wichtige Waffe gegen die erstaunliche, aber vielleicht doch heilsame, so sagt der Ketzer, Wissenschaftsfeindlichkeit und -skepsis?

Jesper Larsson Träff,

geboren 1961 in Kopenhagen, ist Professor für Informatik (paralleles Rechnen) in Wien. Die hier geäusserte Meinungen und Analysen sind persönliche Ansichten und stehen in keinem Zusammenhang mit der TU Wien.

© 2021 Verein für kulturelle Information

Impressum