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"Bei Andersdenkenden hört die Toleranz auf!"

von Jesper Larsson Träff

„Bei Andersdenkenden hört die Toleranz auf!“

Aus Anlass einer neuerlichen akademischen (Selbst-)Feier, und zugegebenermaßen kein wörtliches Zitat, aber Denkweise, Richtung und Intention hinter dem akademisch-konfessionellen Bekenntnis zur allumfassenden Toleranz waren klar und deutlich und vollkommen ernst gemeint: Andersdenkende sind die angeblich Nicht-Toleranten, die Wissenschaftsfeinde, die Wissenschaftsleugner, die Wissenschaftsskeptiker, im speziellen die Corona-Leugner, die Impf-Verweigerer und -Gegner, die Klima-Leugner, die Putin-Versteher, die Diversitätsleugner, und die Verbreiter von Falschnachrichten und -informationen; und solche gefährlichen Falsch- und Andersdenkenden gilt es in ihre Schranken zu weisen, gar auszugrenzen, das muss selbstverständlich eine wichtige Aufgabe einer verantwortungsvollen und solidarischen Akademie sein. Sind Rede-, Denk-, oder gar Arbeitsverbote jetzt schon denkbar? Die Rede von „Leugnern“ unterschiedlicher Schattierungen ist spätestens seit den letzten drei Jahren im polit-medialen Komplex, in der Propagandamatrix, bekannt und allgegenwärtig; dass sie offiziell Einzug in die Akademie gefunden hat, ist bezeichnend für den jetzigen Kein-Zustand. Man hat offensichtlich (längst) Position bezogen, Seite gewählt, ist nicht mehr bemüht um sachliche Auseinandersetzung, um Neutralität, um Ausgewogenheit, um nüchterne Wissenschaftlichkeit. Stattdessen wird geliefert: Pomp, (Nobel-)Preise, Plakat und Fazit-Liste.

Die akademische Welt ist klein geworden, ein abgeschlossenes und ausgrenzendes System, ohne viel Bezug zur wirklichen Realität. Selbst der innere Widerspruch all dieser zum Selbstverständnis gehörenden Begrifflichkeiten und Bestimmungen scheint nicht aufzufallen. Skepsis und Kritik sind die produktiven Grundzüge eines wissenschaftlichen Zugangs (Skeptizismus, Fallibilismus, Falsifikationismus), sowie „suspense of judgement“, Abstand und klaren Kopf, eine Prise Zynismus, und diese Sensibilität muss wohl im Besonderen den politisch stark aufgeladenen Themen und Agenden des Tages gelten, als gesunde Abwehr gegen Opportunismus und gesellschaftliche Geisterfahrerei.

Verschwörungen gibt es durchaus und sehr wohl, z.B. in Form von Absprachen großer Konzerne um bestimmte Preise oder bestimmte Geschäftspraktiken durchzusetzen, oder zwischen Kommissionen und Firmen, um den Umsatz bestimmter, oft pharmakologischer Produkte risikolos (für Kommission und Firma versteht sich) zu sichern. Theoretisieren heißt, hinter die Phänomene zu schauen, um wirkliche Zusammenhänge aufzudecken und zu verstehen (oder darzulegen, wo keine sind). Wissenschaft heißt, dieses in einer überprüfbaren, intersubjektiven Weise zu tun. Der Putin-Versteher sollte willkommen sein, denn gilt es nicht den verteufelten „Feind“ und „Gegner“ oder einfach Nachbarn zu verstehen? Kein Krieg hat je begonnen mit dem offiziellen Datum des Kriegsanfanges, und kein Krieg aufgehört mit dem offiziellen Datum des Kriegsendes; jeder Krieg hat eine meistens lange und komplizierte Vorgeschichte und lange und schmerzvolle Nachwehen (wozu, leider, in Europa, zu selten eine Aufarbeitung und Aussöhnung gehören). Geschichtsvergessenheit, gar „-Leugnung“ und nicht -Revisionismus scheint das heutige mediale und auch akademische Problem zu sein.

Es gibt in der Wissenschaft sehr wohl Erkenntnisse, es gibt Richtiges und Falsches, vor allem gibt es gutes und schlechtes Handwerk, aber es gibt keinen fertigen Schlüssel, keine Fazit-Liste (auch nicht in Form von Rankings, Zitationsindices, Drittmittelerfolgen, Preisen, oder gar Peer-Reviews) und keine Experten, die orakeln können, welche gesellschaftlichen „Maßnahmen“ zu gegebener Zeit getroffen werden müssen. Vielleicht ist der „Wissenschaftsfeind und -leugner“ nur der, der sich gegen diese technokratische Phantasie stellt? Eine Simulation, eine hoch dubiose Form von Wissenschaft, die mit viel Vorsicht und Können betrieben werden sollte, ist, insofern überhaupt möglich und nicht im Rauschen und Chaos untergehend, nur so gut wie die ihr zugrunde liegenden Modelle, Annahmen, Daten, und die handwerkliche Ausführung. An allen vier Komponenten kann gezweifelt werden, mit Recht, wie die jüngste Zeit und die laufende (Klima)Debatte sehr wohl zeigen.

Warum darf wissenschaftlich nicht zugegeben werden, was offenbar ist, dass das sozial-medizinische Kontroll-Experiment der letzten drei Jahre, sowohl pharmazeutischen wie nicht-pharmazeutischen Interventionen betreffend, vollständig gescheitert ist? So wie die laufenden sozialen Überwachungsexperimente unter dem Sammelbegriff „Digitalisierung“ (und/oder „künstliche Intelligenz“) auch scheitern werden. Schwammige Begriffe und inhaltlose Definitionen (wie „Pandemie“ oder „die Digitalisierung“) sind fast per se autoritär: Sie bestimmen alles und nichts und können somit von dem, der die Deutungshoheit innehat, für das verwendet werden, was die Macht will. Wirkliche Wissenschaft ist um das Gegenteil bemüht, um maximale Klarheit, größte Schärfe, inhaltsvolle Definitionen, und somit im besten Sinne antiautoritär und emanzipatorisch.

Der Beitrag ist zuerst auf „tkp.at“ erschienen.

Jesper Larsson Träff,

geboren 1961 in Kopenhagen, ist Professor für Informatik (paralleles Rechnen) in Wien. Die hier geäusserte Meinungen und Analysen sind persönliche Ansichten und stehen in keinem Zusammenhang mit der TU Wien.

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