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Pädophilie in der Covid-Debatte

von Germinal Civikov

Sofia, den 24. September 2021. Der Rat für die elektronischen Medien (SEM) hat eine Sitzung vereinbart. Dieses vom Präsidenten und vom Parlament ernannte fünfköpfige Gremium lizensiert, reguliert und beaufsichtigt alle öffentlich-rechtlichen und privaten Fernseh- und Rundfunkanstalten des Landes. Ferner ist der SEM beauftragt, die Freiheit und den Pluralismus von Wort und Information, wie auch die Unabhängigkeit der elektronischen Medien zu überwachen und zu verteidigen. Steht alles groß in der Präambel auf der Internetseite des Gremiums.

Die Sitzung steht unter keinem guten Vorzeichen. Mit kaum 20 % Geimpften bleibt Bulgarien europäisches Schlusslicht in der Impfkampagne. Die stündlich aktualisierten Horrorzahlen der Infizierten und Verstorbenen wollen auch keine Wirkung zeitigen. Das unter den Bulgaren tief verwurzelte Misstrauen gegen Staat und Obrigkeit bleibe stärker als die Angst vor dem Virus – lautet die eine Erklärung dieses Missstandes. Die andere betrifft die Medien. Durch die Gepflogenheit eines falsch verstandenen Pluralismus der Gesichtspunkte in der Debatte treten besonders im nationalen Rundfunk (BNR) Maßnahmengegner und Impfskeptiker auf, die Sand ins Getriebe streuen.

Daher hat SEM ein zweiwöchiges „fokussiertes Monitoring“ durchgeführt und die Art und Weise ans Licht gebracht, wie das Thema der Impfung gegen Covid-19 im nationalen Rundfunk bisher ausgetragen wurde. Dazu wurde ein Bericht erstellt, der das Thema der Sitzung ist. Das Protokoll der Sitzung bietet sozusagen aus der Küche einen Blick auf die Steuerung der elektronischen Medien im Zeitalter von Covid-19.

Die Ratsvorsitzende erteilt das Wort Rozita Elenova, auf deren Initiative das Monitoring durchgeführt wurde. Diese bedankt sich und schreitet direkt zur Sache: „Wie sie wissen, habe ich öfters die These vertreten, es gehe nicht an, dass in den Medien der Gesichtspunkt des Pädophilen als der andere Gesichtspunkt gelten kann.“

Wie bitte? Wurde in eine Sendung über Kinderschänder auch ein Pädophiler eingeladen? Nein, es ist nur ein etwas holpriger Vergleich. Es geht nämlich um das journalistische Gebot des Pluralismus. Dieses darf nicht dahingehend missverstanden werden, dass man in einer Sendung über sexuellen Kindesmissbrauch einen Pädosexuellen einlädt, damit auch er seinen anderen Gesichtspunkt zum Thema bringt. Der Vergleich meint folgendes: Impfskeptiker in einer Sendung über Covid-19 sind wie Pädophile in einer Sendung über sexuellen Kindermissbrauch. Sodann unterbaut Frau Elenova ihr Statement gegen den anderen Gesichtspunkt mit einer bemerkenswerten Einsicht in die Medizinwissenchaft: „Denn die Medizin ist das komplexe, professionelle Thema, das sich in diesen zwei Jahren als die große Herausforderung vor den Medien stellt. Und eben wegen der komplexen pandemischen Lage sollten wir uns bewusstwerden, dass es den anderen Gesichtspunkt in der Medizin nicht gibt. Es darf in der Medizin keine freie Interpretation wissenschaftlicher Fakten geben, dort gibt es keinen Platz für irgendwelche Meinungen, denn diese gehören in die Sphäre des Betrugs und des fake news.“

Rozita Elenova hat Kommunikationswissenschaft studiert und kennt sich daher gut in Sachen Medizin aus. „Die Hygiene in den Medien – erklärt sie – ist Teil unserer Arbeit, die ich wichtig finde.“ Sich impfen zu lassen – setzt sie fort - bleibe selbstverständlich eine persönliche Entscheidung, die Medien lassen es aber zu, dass falsche Informationen eine rationale persönliche Entscheidung beeinflussen und stören. Leider mangle es auch an einer umfassenden Staatspolitik, denn der Staat und das Ministerium für Volksgesundheit könnten in einer gemeinsamen Anstrengung energischer den Medien beistehen. Und ja, wie schade, dass diese Schädlinge der Volksgesundheit nicht strafrechtlich verfolgt werden, bemängelt ferner Rozita Elenova. Das Verhältnis von These und Gegenthese, d. h. von Impfbefürwortern und Impfgegnern in den Sendungen des nationalen Rundfunks BNR stehe, sage und schreibe, 50 zu 50! Und dies, obgleich es einen Staat gebe, eine Regierung, eine offizielle Gesundheitspolitik und mehrere andere Instanzen, die wissenschaftliche Information zu der globalen Pandemie enthalten und Analysen der Ursachen für das uns heimsuchende große Sterben bieten.

Die Führung der BNR hat den Monitoring-Bericht des SEM zur Kenntnis genommen und seither nichts unternommen. Als Gäste im Studio treten nach wie vor angesehene Ärzte und Wissenschaftler auf, wie etwa der Infektiologe Atanas Mangarov und der Immunologe Andrei Čorbanov. Und dies, obgleich sie Frau Elenova als Lügner entlarvt hat und sie auf eine schwarze Liste wünscht. Man stelle sich einmal einen Sucharit Bhakdi oder einen Wolfgang Wodarg als Gast im Deutschlandfunk oder im ORF vor. Nein, Bulgarien ist noch nicht in Europa angekommen.

Ein Trost ist, dass das EU-Impfschlusslicht Bulgarien ab 25. Oktober 2021 endlich auch das Impfzertifikat und die 3-G-Regel eingeführt hat. Das erste Ergebnis war, dass sich der Marktpreis für ein falsches Impfzertifikat verdreifacht hat und bald 500 Euro erreichen kann. Angebot und Nachfrage eben. Und die Armen haben wieder das Nachsehen.

Germinal Civikov,

geboren 1945 in Ruse/Bulgarien, Studium der Germanistik und Literaturwissenschaft in Sofia und Leiden, lebt seit 1975 in Den Haag. Von ihm ist u.a. erschienen: „Srebrenica. Der Kronzeuge“ sowie „Der Milošević-Prozess. Bericht eines Beobachters“ (Promedia Verlag).

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