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Nur Lumpen werden überleben

von Gerald Grüneklee

Es war eine Schmährede, mit der Sascha Lobo auf die „Lumpenpazifisten“ einschlagen wollte (im „Spiegel“, 20.4.2022). Lump, das ist ein laut Duden abwertend gemeintes Wort. Ein Schlag-Wort also, dass – vierte Gewalt der Medien – jene mit einem gehörigen Klaps (der hat ja bekanntlich noch niemandem geschadet) zur Ruhe bringen sollte, die da herumquengeln und sich widersetzen beim allgemeinen Ruf an die Waffen. Unvernünftige also, nach Lobo, der irgendwas zwischen Werbetexter, Selbstvermarkter und Internetexperte ist oder sein will, gar „egozentrisch“. Klar, egozentrisch ist, dass wissen wir spätestens seit Corona, wer nicht „solidarisch“ ist. Man stellt sich damit außerhalb der Gemeinschaft, wird verstoßen. Lump, das gilt als synonym für verkommen, unehrenhaft, gesinnungslos, erbärmlich, frech, hinterhältig, niederträchtig, schmutzig, charakterlich minderwertig und gemein.

Der Lumpenbegriff entstand in Bezug auf „fahrendes Volk“, auf Nichtsesshafte, auf von der herrschenden Gesellschaft Ausgestoßene, die irgendwie „dreckig“ und „schäbig“ seien wie alte, abgetragene Kleidungsstücke. Lumpen, das waren Menschen, die pauschal von der Obrigkeit verdächtigt wurden, kriminell zu sein und sich gemeinschaftsschädlich zu verhalten. Menschen, die ein öffentliches Ärgernis darstellten, weil man ihnen ihre Armut ansah (so, wie man heute Bettelnde aus den Innenstädten zu vertreiben versucht).

Der Vorwurf des „Lumpenpazifismus“ sagt also mehr über Lobo selbst aus als über die von ihm Geschmähten. Mit dem begrifflichen Anklang an die Elendsten der Elenden, das Lumpenproletariat – ein von Marx geprägter Begriff - bringt Lobo seinen Dünkel gegenüber „Unterschichten“ zum Ausdruck. Lobo wirft jenen, die eben nicht prinzipienlos mit der Macht gehen, sondern eine Gesinnung haben (die sich unter anderem im Dissens mit staatlicher Macht, Zwangsdiensten und Kriegstreiberei ausdrückt) Gesinnungslosigkeit vor. Die Begriffsherkunft des „Lumpen“ verweist aber auch auf Menschen, die ihren eigenen Kodex hatten, ihre Überlebensstrategien – und die über eine beachtliche Widerständigkeit verfügten, die sie jahrhundertelang recht resilient machte gegen staatliche Zugriffe und Zwangsdienste.

In diesem erweiterten Sinn verstehe ich hier den Lumpen-Begriff, beinhaltend die von der Gesellschaft Ver- und Ausgestoßenen, die an den Rand Gedrängten, die Überflüssigen und jene, die sich, aus unterschiedlichen Gründen, dem Zugriff von Staat und Herrschaft so gut wie möglich zu entziehen versuchten. Es ist allerdings kein Wunder, dass diese um Autonomie bemühten Menschen verfolgt wurden und „Lump“ zu einem Begriff mit derart übler Konnotation avancierte. Schließlich stellten die Herumziehenden eine Alternative und einen Widerspruch zu staatlich-hierarchischen Machtanmaßungen dar.

Lumpenpazifismus und Lumpenproletariat hängen eng zusammen. Im Gegensatz etwa zum deutschen Gewerkschaftsbund DGB hat die bis heute existierende internationalistische, revolutionäre Gewerkschaftsorganisation „Industrial Workers oft he World“, deren Schwerpunkt in den USA lag und liegt, die (vielfach migrantischen) „Lumpen“, ihre Arbeitsverweigerung, ihre Kämpfe gegen Zwangsdienste und Sklaverei, gegen das System der Gefängnisse für die Ungehorsamen etc., unterstützt. Es ist kein Zufall, dass diese „Wobblies“ federführend in der US-amerikanischen Antikriegsbewegung während des Ersten Weltkrieges waren. Boxcar Bertha reiste in den 1920er Jahren im Güterwagen durch die USA und agitierte unter den Hobos, den vagabundierenden Arbeitslosen. In Deutschland aber kann man sich sicher sein, mit dem „Lumpen“-Begriff, der nach Vaterlandsverrat klingt, immer noch Vorbehalte, Vorurteile, Vorverurteilungen zu bedienen.

Ergo: die Welt hat nicht zu viele „Lumpenpazifisten“, sondern zu wenige. Die Lumpen von heute, das sind jene, die auf der Suche nach einer besseren Welt, oder wenigstens auf der Suche nach einem Leben ohne Hunger, Terror und staatliche Zwangsdienste sind. Auf der Suche nach einer Welt, die eine Zukunft bietet. Es sind die Menschen an den Peripherien des globalen Kapitalismus, die Prekarisierten, die von der Weltvernichtungsmaschine (nichts anderes ist das gegenwärtige Wirtschaftssystem) Ausgestoßenen, die von Hunger, Bürgerkrieg und Klimawandel auf die Flucht Getriebenen, die Revoltierenden und die Entwürdigten, die sich ihre Würde wieder zurückholen wollen. Lumpen aller Länder, vereinigt euch. Gegen Staat & Krieg & Kapital. Denn nur die Lumpen werden überleben.

Stark gekürztes Kapitel aus einem in Planung befindlichen Buch „Nur die Lumpen werden überleben – Die Ukraine, der Krieg und die antimilitaristische Perspektive“ (Infos: info_at_ziegelbrenner.com)

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